Oft stellen sich Fragen, warum verschiedene Flaggen gerade ganz bestimmte Farben haben, oder ob die einzelnen Farben eine bestimmte Bedeutung haben, wo ihr Ursprung liegt, wie und warum man sie überhaupt verwendet hat.
Zunächst liegt der Ursprung aller Flaggen des
europäischen Kulturkreises – und in der von ihm geprägten Welt – in den Wappen
des Mittelalters. Diese haben zunächst einmal ihre Form von den Schilden der
Ritter. Diese Schilde wurden, weil die überall gepanzerten Ritter auf den
Schlachtfeldern nicht mehr erkennbar oder unterscheidbar waren, mit persönlichen
Merkmalen versehen. So konnte man den Überblick behalten. Später wurde es
Brauch, dass der Lehnsherr (Kaiser, König, Herzog usw.) bei der Belehnung eines
Gefolgsmannes ein fertiges Wappenbild übergab. Dabei gingen
Herolde beratend zur Hand. So entstand die Heraldik, ein strenges Regelwerk
zur Gestaltung von Wappen.
Die Herolde katalogisierten und systematisierten die Wappenbilder in sogenannten Wappenrollen, und
wahrten so die Ordnung. Ebenso waren Herolde auf den Schlachtfeldern
anzutreffen, sie galten als neutral und unangreifbar, da sie anhand der Wappen
auf den Schilden oder auch anhand der mit dem Wappenbild verzierten
Kleidungsstücke (oft Umhänge oder Mäntel) feststellen konnten, wer verwundet
oder gefallen war, was für den Verlauf der Schlacht sehr wichtig war.
Manchmal führten bedeutende Feudalherren in gehobenen Positionen persönliche
Banner mit ihrem Wappenbild, so wusste der Gefolgsmann oder Knecht im Frieden
wie im Krieg, wo sein Herr oder Anführer zu finden war.
Die Flagge des
portugiesischen Königtums im 14./15. Jahrhundert
Außer diesen Wappenbannern gab es aber auch schon
Fahnen, die speziellen Truppenteilen oder Ritter- und Landsknechtshaufen
zugeordnet wurden. In den Kreuzzügen gab es sogar schon Fahnen für national
zusammengesetzte Kontingente. Die Wappenbanner fanden immer weitere Verbreitung,
waren oft aufwändig gearbeitete Einzelstücke, oder die Wappenmotive wurden auf
Tuch gemalt. Jedoch blieb, der Systematik der Feudalzeit folgend, das Wappen
oder die Fahne mit dem Feudalherren verbunden. Wichtig in der Geschichte der
Farben waren auch sogenannte Vexilloide, oft Kleidungsstücke, die an einer
Stange getragen wurden, so zum Beispiel der blaue Mantel der Jungfrau Maria, der
blaue Mantel des Heiligen Martin, oder auch der grüne Mantel des Propheten
Mohammed.
Als der Handel aufblühte, international und transkontinental wurde, als
Seemächte begannen die Welt zu erobern, war es wichtig geworden
Unterscheidungszeichen für Schiffe zu schaffen. Sie mussten zwar die Farben des
Landes, der Stadt oder auch des Feudalherren zeigen, jedoch in einer
vereinfachten, optimierten Form, die eine Unterscheidung auf große Distanzen
ermöglichten. So wurden die Fahnen und Wimpel der Schiffe farblich und
gestalterisch einfacher gehalten.
In der napoleonischen Zeit begann der nationale Gedanke zu erblühen. Der
Einwohner, Landmann oder Bürger fand eine neue Identität, die sich von der
Person des Fürsten zu lösen begann, und sich dem Land, Staat oder gar der Nation
zuwandte. Die alten Banner machten Platz für einfache Fahnen und Flaggen – oft
nur mit wenigen Strukturen oder Farben, und standen für gemeinsame Interessen
oder Identitäten. Außerdem mussten sie auf einmal massenweise verfügbar, und
demzufolge schnell und unkompliziert herstellbar sein.
Der Weg der Farben führte also von den Wappen auf die Banner und von dort zu
Fahnen und Flaggen. Die Heraldik kennt nur sechs Farben:
Rot, Blau, Grün
und Schwarz (als Farben), und Gold und
Silber
(als Metalle):
(Durch klicken auf die Farben erreicht man Erklärungen zur jeweiligen Farbe)
Später kamen noch einige andere Farben hinzu, etwa Purpur, Braun und Orange, oder solche Exoten wie Eisengrau, Aschefarben und Fleischfarben.
Es gab auch regionale Besonderheiten, denken wir nur an das "Murado" (Maulbeerfarben), das in Spanien vorkommt.
Die Farben auf den Wappen wurden recht willkürlich vergeben, ohne große Hintergedanken, wobei jedoch darauf geachtet wurde, dass mindestens eine Farbe mit einem Metall kombiniert wurde, und niemals Farbe an Farbe oder Metall an Metall zu liegen kam. Im Sinne der Gefälligkeit wurden diese Regeln mit der Zeit etwas aufgeweicht, in dem man sich damit behalf, die sich berührenden Elemente durch schwarze Außenlinien (Outlines) zu begrenzen.
Im Prinzip wären diese Farben und ihre Regeln bis
heute gültig, und sollten für wenige Diskussionen sorgen. Leider ist es aber so
gekommen, dass – vor allem in jener Zeit als die Flaggen und Fahnen in größeren
Stückzahlen auftauchten und massenhaft gefertigt wurden – auf die Einhaltung
heraldischer Regeln kein Wert mehr gelegt wurde, und dass sich – weit schlimmer
– Schattierungen von Farben herausbildeten, also alle möglichen denkbaren
Farbtöne und Varianten z.B. von Blau, als Hellblau, Azurblau, Himmelblau,
Dunkelblau, Heraldikblau, Aquamarin, Preußisch Blau, Königsblau, Britisch Blau
usw. Bei Rot oder Grün passierte das auch, aber bei weitem nicht so häufig und
vielfältig, wie das bei Blau der Fall ist. Woran lag das?
Zuallererst an den Verwendeten Farbstoffen. Im Mittelalter wurden die
Wappenfarben auf Schilde oder steinerne Wappenreliefs aufgemalt. Gewöhnlich
hielten diese Farben mit einer gewissen Beständigkeit ihrer mehr oder weniger
großen Beanspruchung stand, und konnten einfach und günstig nachgebessert
werden. Dazu wurden ungemischte, reine, mineralische, seltener organische Farben
verwendet. Mineralische Farben waren zum Beispiel Kobaltblau, Ultramarin,
Zinnober, Mennige, Grünspan,
Schweinfurter Grün, aber auch Ton der in bestimmten Farben vorkommen kann,
aber auch aus Ruß gewonnenes Schwarz. Anstelle Gold und Silber wurden oft Gelb (Schwefelgelb)
oder Weiß (Bleiweiß)
eingesetzt. Organische Farben waren Eigelb oder Farbstoffe, die aus Schnecken
oder bestimmten Tieren gewonnen werden konnten, so z.B. das Karmesinrot, oder das Purpurrot.
Je nach verwendetem Roh- und Ausgangsstoff, je nach Konzentration, entwickelt
jede Farbe natürlich ihren eigenen Ton.
Man kann sich leicht vorstellen, das die Konzentration und Qualität der Farbe
oft abwich, weil es eine Frage des Geldes war, oder auch nur des natürlichen
Vorkommens in Menge und Zusammensetzung. Genau so waren das Abmischen der
Farben, die Bindemittel und Fixative keinesfalls standardisiert, so dass die
einzelnen Farben recht unterschiedlich ausfallen konnten. Das war aber kein
Problem, denn in der Heraldik ist Blau Blau und Rot Rot, egal wie es in
Wirklichkeit wiedergegeben und verwendet werden konnte. Wenn der Zugang zu den
Farbrohstoffen, am besten immer aus einer ganz bestimmten Quelle,
uneingeschränkt und dauerhaft möglich war, und sich eine nach Rezepten
arbeitenden Handwerkerschaft herausbilden konnte, bildeten sich aber schon in
dieser Zeit Vorlieben für bestimmte Schattierungen an Farben heraus. Ebenso kann
man aus der Originaleinfärbung der Wappen eben nicht auf die Färbung
historischer Flaggen schließen, denn der Textilfarbstoff muss ein ganz anderer
sein. Es ist absolut klar, dass es hier zu Abweichungen kommen musste. Aber, wie
gesagt, früher kein Problem. Heute schon.
Problematisch ist, dass Flaggen als historische
Fundstücke mit dem modernen Auge betrachtet werden, und schnell eine bestimmte
Farbbezeichnung verpasst bekommen. Stichwort "Hellblau"; völlig ignorierend,
dass das Hellblau mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf Auswaschen und
Verbleichen zurückzuführen ist, eine bei Indigo (Waid) bis heute bekannte und
entsprechend ausgenutzte Eigenschaft. Man denke nur an die berühmten Jeans. Noch
schlimmer wird es, wenn das Hellblau ein ganz bestimmtes sein soll. Bayern lässt
für seine Rauten heute offiziell zwei Blautöne zu, selbst der hellere von beiden
wird oft als zu "Preußisch Blau" abgelehnt. Wie Blau hätten Sie es denn gerne?
Darf es ein bisschen mehr sein? Heraldisch ist das natürlich alles Unsinn.
Mit dem stärkeren Aufkommen der Fahnen und Flaggen mussten standardisierte
Prozesse geschaffen werden, die möglichst einheitliche Ergebnisse hervorbringen
konnten. Erfahrungen im Färben von Textilien gab es schon sehr lange, jedoch
mussten die Farben der Fahnen Wind und Wetter besonders gut standhalten können,
also beständig sein. Textilfarben sind keine mineralischen Farben, denn diese
würden ausgewaschen werden. Farbstoffe aus diversen Pflanzen kamen hier zum
Einsatz. Die berühmtesten sind
Waid
(später Indigo) und Krapp,
mit denen ein schwunghafter Handel getrieben wurde. Wichtig waren auch die
Methoden zur Fixierung der Farben. Es ist leicht nachvollziehbar, dass erst das
Industriezeitalter mit seinen Normen und Standards hier eine gewisse Stabilität
schaffen konnte. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden für Uniformen, Bekleidung
und auch Flaggen aus Kostengründen überwiegend Naturfarben verwendet. In Großbritannien
fing man zwar ab ca. 1860 an chemische Textilfarben zu verwenden, aber erst um ca. 1890 hatten
sie sich durchgesetzt.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnete die US-Armee ihre Uniformfarbe als Dunkelblau,
Preußisch-Blau oder Marine-Blau (es handelte sich tatsächlich um ein sehr dunkles Blau), die zeitweilige Hosenfarbe
"Himmelblau" wurde als "Sächsisch-Blau" bezeichnet. Und das Marine-Blau wurde weltweit de facto zu schwarz,
da der im 19. Jahrhundert für Matrosen eingeführte blaue "Look" in der aggressiv-salzhaltigen Meeresluft die
Tendenz hatte, extrem "nachzudunkeln".
Was ist, und was war "Dunkelblau" in der französischen Armee? Ein und dasselbe Dunkelblau, generiert aus Indigo bzw. Waid hieß im königlichen Frankreich "Königsblau", im revolutionären Frankreich der Republik "Republikanisch Blau", im kaiserlich-bonapartistischen Frankreich "Kaiserliches Blau". Nur 1815 – während der 100 Tage nach Napoléons Rückkehr – befahl dieser, das Blau "heller auszufärben", um Ressourcen zu sparen.
Noch ein Beispiel für das subjektive, optische Farbempfinden (zitiert nach Osprey-Verlag, "Men-At-Arms"-Serie Band 334, Seite 2): Die Farben der spanischen Uniformen folgten in der Regel den anderen europäischen Armeen. Jedoch bedeutete Blau ein sehr dunkles Blau, Smaragdgrün war ein Mittelgrün, Scharlachrot war einfach nur rot, jedoch war Purpurrot rötlicher als sein britisches Pendant.
Oder nehmen wird das Grau der Armee der Konföderierten Staaten von Amerika. Noch heute wird es nicht einfach nur als "grey" bezeichnet, sondern als "gray" und es umfaßt Schattierungen von fast weiß bis schwarz-grau.
Das Industriezeitalter lud nun natürlich dazu ein, ganz bestimmte Schattierungen von Farben zu bevorzugen, was sich in der Entwicklung der Farben der Flaggen wiederspiegelt. Gerade in England, dem ersten industrialisierten Staat, kamen Schattierungen bestimmter Farben in Mode, so dass ein Marineblau, oder ein Royal Blau auftauchen konnten. Gerade beim Blau setzte in der Neuzeit eine inflationäre Entwicklung ein. Jeder Potentat, jedes Land, jede Nation legte nun wert auf "sein" Blau. Der Gipfel dieser Entwicklung wurde mit der Flagge von Sabah (föderaler Teilstaat Malaysias im Norden der Insel Borneo) erreicht. Eine einzige Flagge mit drei verschiedenen Blautönen darauf!
Die Flagge von Sabah
Solche Auswüchse werden durch die industriellen
Möglichkeiten gefödert. Man denke nur an das "Pantone Mischsystem" (PMS), heute
leider Standard bei der Angabe von Farben auf Flaggen, welches eine Palette von
ca. 1.750 Farbtönen anbietet. Es mag hilfreich sein, sagen zu können, so oder so
soll die Farbe aussehen, jedoch wird übersehen, dass auch bei der Rezeptur der
Pantone-Farben verschiedene Pigmente einer konkreten Farbe zum Einsatz kommen
können, was natürlich Auswirkungen auf das Mischergebnis und die Farbstabilität
hat. Man halte nur einmal die Farbfelder von zwei Pantone-Fächern nebeneinander.
Die Abweichungen sind schon hier auffallend.
In den Jahren 2014/2015 gab es ein Kunstprojekt, dass die Flagge der Euopäischen
Union zum Thema hatte. Die Initiatoren bestellten in allen 28 Mitgliedstaaten
der Europäischen Union Europa-Flaggen. Die Europa-Flagge ist in ihrem Farbton
auf "Pantone Reflex-Blue" festgelegt. Kurioserweise kamen aus allen 28
Mitgliedstaaten Flaggen in 28 voneinander abweichenden Schattierungen von
"Pantone Reflex-Blue".
Die Flagge der
Euopäischen Union
Oft wird übersehen, dass die allermeisten
Druckprodukte im CMYK-Farbraum hergestellt werden, also alle Buntfarben duch
Anteile von Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz ermischt werden müssen. Das ist bei
Pantonefarben nur eingeschränkt möglich. Analog gilt das selbe für Darstellungen
auf Monitoren, die im Farbraum RGB (Rot-Grün-Blau) generiert werden.
Viele Druckprodukte, die mit Pantone-Farben gedruckt wurden, weichen schon nach
10 Minuten – also im Verlauf der Trocknung – vom Urzustand der Farbgebung ab.
Das ist ein beliebtes Thema bei Werbeagenturen, um Druckprodukte schlecht zu
machen, ohne dass überhaupt gewusst wird, wovon man redet. Weniger Studium und
mehr Praxis würden hier schon Wunder wirken.
Quelle/Source:
Volker Preuß,
Wappenkunde,
Katechismus der Heraldik,
Flaggen-Atlas Erde,
Jürgen Kaltschmitt